Die bittere Seite der Schokolade
Seit Jahrzehnten verspricht die Schokoladenindustrie, Kinderarbeit im Kakaoanbau zu beenden – doch sie hat sogar zugenommen. Allein in Westafrika, wo 70 % des Kakaos produziert werden, arbeiten 1,56 Millionen Kinder unter gefährlichen Bedingungen. Die Hauptursache: Armut. Niedrige Kakaopreise zwingen Familien, ihre Kinder zur Arbeit auf den Feldern einzusetzen.
Bilder von Kindern, die auf Kakaofarmen schwer schuften müssen, sind nicht gut fürs Image. Schon gar nicht, wenn man so ein süßes Produkt wie Schokolade anzubieten hat. Deshalb unterzeichneten führende Unternehmen der Schokoladenindustrie im Jahr 2001 eine freiwillige Vereinbarung – das nach zwei US-Senatoren benannte Harkin-Engel-Protokoll. Darin versprachen die Unternehmen, die schlimmsten Formen von Kinderarbeit bis 2005 zu beenden. Doch die Deadline wurde immer wieder nach hinten verschoben, das Ziel mehrmals revidiert. Vom groß ankündigten Ausstieg aus der Kinderarbeit blieb eine „Reduktion um 70% bis 2020“. Doch auch heute ist Kinderarbeit im Kakaosektor nach wie vor ein drängendes Problem.
Armut als Ursache der Kinderarbeit
In Ghana arbeiten etwa 770.000 Kinder im Kakaosektor. Sie verrichten gefährliche Arbeiten, die gesetzlich verboten sind, da sie ihre Gesundheit und Zukunft gefährden. Sie tragen schwere Säcke, brennen und holzen Wälder ab, öffnen die Früchte mit scharfen Macheten oder hantieren ungeschützt mit Pestiziden. Armut ist der Hauptfaktor, der diese Ausbeutung antreibt. Der Großteil der Kakaobohnen wird in den globalen Norden exportiert, wo sie weiterverarbeitet und zu Schokoladeprodukten veredelt werden. Die Wertschöpfung findet größtenteils in kapitalintensiven Weiterverarbeitungsprozessen in Europa und den USA statt. Weltweit dominieren vier große Unternehmen die die Vermahlung der Kakaobohnen, auch die Herstellung von Schokolade passiert zum großen Teil in wenigen globalen Konzernen.
Seit den 1990er-Jahren sinken die Preise für Kakaobohnen kontinuierlich. Während die Bohnenproduktion früher 25% des Endpreises von Schokolade ausmachte, sind es heute nur noch 7-11%. Dies führt zu extremen Einkommensverlusten für Kakaobäuer*innen.
Die niedrigen Kakaopreise zwingen viele Familien, ihre Kinder bei der Arbeit auf den Feldern einzusetzen, da sie sich keine bezahlten Arbeitskräfte leisten können. Dies gefährdet nicht nur die Gesundheit und Sicherheit der Kinder, sondern beraubt sie auch ihrer Bildung und Zukunftschancen.
Schritte der Veränderung
Um Kinderarbeit Geschichte werden zu lassen, braucht es eine breite Strategie, die sowohl vor Ort, aber auch auf internationaler Ebene wirkt.
Die Bauernfamilien müssen davon überzeugt sein, dass es eine andere Zukunft für ihre Familien, ihre Kinder gibt. Die Partnerorganisationen der Dreikönigsaktion, die Handmaid Sisters und Nature Aid Ghana setzten genau da an und bieten Workshops für die Familien an, in denen die Bäuer*innen mit den schrecklichen Folgen der schweren körperlichen Arbeit für ihre Kinder konfrontiert werden. Sie sprechen direkt mit den Kindern darüber, dass Bildung der einzige Ausweg aus dem Teufelskreis der Armut ist. Sozialarbeiter*innen arbeiten vor Ort mit Kindergruppen und vermitteln Schulplätze. Aber damit ist es nicht getan. Es braucht Auswege aus der Armut – deswegen bieten die Partnerorganisationen der Dreikönigsaktion den Familien Kleinkredite an, damit sie sich Maschinen und neue Geräte anschaffen können, die ihre Arbeit erleichtern und somit ihre Ernte und ihr Einkommen steigern. Die Kakaofarmer*innen und ihre Kinder müssen ein gemeinsames Ziel vor Augen haben: Ja, wir wollen etwas verändern. So wollen wir nicht weiterleben – und es braucht das Vertrauen, dass ihnen jemand auf diesem schwierigen Weg zur Seite steht und hilft.
Es ist Zeit für Veränderung
Die Geschichte des Kakaoanbaus ist eng mit dem europäischen Kolonialismus verknüpft. Es war schon immer im Interesse der Importeur*innen, dass sich nichts verändert, weil das die Profite schmälert. Die Unternehmen haben über all die Jahre hinweg viel zu wenig getan, um der Kinderarbeit ernsthaft den Kampf anzusagen. Dabei ist das Rezept recht einfach um Kinderarbeit Geschichte werden zu lassen: In erster Linie braucht es einen fairen Lohn für die Arbeiter*innen, mit dem sie ihre Familien ernähren können und einen existenzsichernden Kakaopreis für die Ernte der Kleinbäuer*innen.
Die Akteur*innen im Kakaosektor sind sich einig, dass freiwillige Maßnahmen allein nicht ausreichen, um die Probleme in der Kakaowertschöpfungskette zu lösen. Es bedarf verbindlicher Gesetze, die Unternehmen zur Einhaltung menschen- und umweltrechtlicher Standards verpflichten, wie auch die 2023 erschienene Studie der Österreichischen Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) und der Dreikönigsaktion feststellt. Die Studie trägt den Titel “Möglichkeiten zur Verbesserung der sozioökonomischen Situation der ghanaischen Kakaobäuer*innen: Die Rolle von Nachhaltigkeitsinitiativen“ und geht der Frage nach, wie die wirtschaftliche Situation von Kakaobäuer*innen so verbessert werden kann, dass sie aus der Armut entkommen können. Trotz zahlreicher Initiativen sind die Auswirkungen auf den Lebensunterhalt der durchschnittlichen Kakaobauernhaushalte begrenzt erfolgreich.
Daher schließt die Studie unter anderem mit der Empfehlung von verbindlichen Regeln, wie etwa das kürzlich beschlossene europäische Lieferkettengesetz.
Emmanuel Ayifah von Send Ghana, Partnerorganisation der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, erklärt: „Würden die Schokoladenhersteller*innen höhere Kakaopreise bezahlen, von denen die ghanaischen Kakaobäuer*innen gut leben könnten, wäre das Problem der Kinderarbeit im Kakaoanbau gelöst. Die EU als größte Abnehmerin für Kakao aus Westafrika, kann durch ein Lieferkettengesetz, das Unternehmen verpflichtet, faire Preise zu zahlen, einen großen Unterschied machen.“
Kampf gegen die Ungerechtigkeit geht auch uns an
Auch wir können mithelfen, zumindest so furchtbare Missstände wie schwere Kinderarbeit in Westafrika zu bekämpfen. Es braucht strenge Gesetze, die sicherstellen, dass keine Kinderarbeit in unserer Schokolade steckt. Die Konzerne müssen ihre ganze Lieferkette – von den Kakaobäuer*innen bis ins Verkaufsregal – offenlegen und nachweisen, dass sie faire Löhne für ihre Ware zahlen und dass keine Kinder dafür schuften müssen.
Kakaobohnen. Fotograf: Sean Hawkey
Erfahre mehr über Sr. Regina und ihren Einsatz gegen Kinderarbeit
Sr. Regina Ignatia Aflah, stellvertretende Oberin der Handmaid Sisters und Projektpartnerin der Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar in Ghana, widmet ihre Arbeit leidenschaftlich den Schwächsten in der Gesellschaft.